Dancing Puppets - Mit Schülern eine einfache Marionette am Draht bauen!
von Tania Schnagl
Was ist eine Drahtmarionette?
P.K. Steinmann nennt sie die „Marionette am Draht“ oder auch die „Stangenmarionette“ (vgl. Steinmann, S. 68f). Oskar Batek bezeichnet sie als die „kleine Marionette am Draht“ im Unterschied zu aufwändigeren Formen (vgl. Batek, S. 29ff). Durch den Kopf führt ein fester Draht nach oben, der am Ende so gebogen ist, dass er gut in der Hand des Spielers liegt. Die Arme sind an einem Faden befestigt. Dieser führt parallel nach oben und ist an einer Drahtschlinge eingehängt. Von der Marionette hat die Figur die Aufhängung der Hände am Faden. Das gibt ihr einen zarten und schwebenden Habitus. Die feste Verankerung im Kopf zwingt zu gehorchenden, auch zackigen und schnellen Bewegungen, die ein erdverbundenes Spiel ermöglichen. Die „Füße“ verstecken sich in unserer Version unter einem langen Wollkleid. Durch die geschickten Bewegungen des Führungsstabes entsteht der Eindruck von gehen, laufen, hopsen, tanzen und schleichen.
Das Spiel mit den Stangenmarionetten findet man in der Tschechoslowakei, auf Sizilien und verschiedentlich auch in Belgien. Berühmtestes Vorbild sind die sizilianischen Marionetten - auch „opera dei pupi“ genannt. Die bis zu 1,40 m großen mit prächtigen Kostümen ausgestatteten Figuren besitzen einen am Kopf befestigten Führungsstab wie auch Schulter- und Hüftgelenke. Mit Eisendrähten oder Schnüren werden die Arme bewegt. Durch geschicktes Schwenken des Kopfstabes können auch die Beine bewegt werden. Stoffe der sizilianischen Marionettentheater sind meist Heldensagen (vgl. Kühn, S. 33ff). Höhepunkt fast jeder Aufführung sind lange und höchst aufregende Kampfszenen, bei denen der Held seine Feinde nacheinander „ermordet“. Hier fallen schon mal Köpfe, werden Gesichter gespalten oder Beine abgehackt. All das entsteht durch eine ausgefeilte Technik der Figuren und die professionelle Handhabung durch den Spieler.
Die einfache „Marionette am Draht“ besitzt diese komplizierte Technik nicht. Nur ein Trick mit den Haaren ist möglich. Wenn man den Haarschopf nicht am Kopf anklebt, sondern auch an einem Faden befestigt, erreicht man durch Ziehen am anderen Ende, dass das Haarteil gleichsam von selber nach oben schnellt. Ein überraschender Gag, den es aber nicht unbedingt braucht. Auch in ihrer Einfachheit berührt die „Marionette“ mit ihrem Charme und ihrem unaufdringlichen So-Sein.
Was kann sie?
Hervorragend geeignet ist die Figur als Tanzpuppe im Ensemble. Ob abwechselnd, nacheinander, gemeinsam oder durcheinander … wenn sie in der Gruppe auftaucht, schafft das einen besonderen Reiz beim Zuschauer. Aber auch als „Solopuppe“ kann sie eingesetzt werden und kleine Geschichten erzählen. Dabei ist Sprache nicht zwingend notwendig. Sie entdeckt, erkundet, schlüpft hinein oder hinaus, fällt, schleicht, sieht sich um, klettert hinauf und erfährt somit die Welt. Gefühle, die sich aus Handlungen ergeben, kann sie auch gut transportieren.
Ein kleines Manko mag die schlecht durchzuführende vertikale Bewegung des Kopfes sein. Das macht sich dann bemerkbar, wenn sie einen Gegenstand fokussieren soll, der weiter unten liegt – wenn sie z.B. in eine Kiste hineinschauen will. Hier muss der feste Drahtstab etwas weiter unten genommen und stark nach vorne gebeugt werden. Das ist etwas umständlich, verfehlt aber seine Wirkung nicht.
Welche Bühne braucht sie?
Die Marionette am Draht braucht keine spezielle Bühne. Der Spieler ist immer sichtbar, wird aber doch kaum wahrgenommen, denn die Aufmerksamkeit zieht die Figur voll und ganz auf sich. Hinter einem schwarzen Hintergrund verschwindet der dunkel gekleidete Spieler noch mehr (für Filmaufnahmen ist das günstig), aber die Figur geht auch schon mal mitten ins Publikum und nimmt durch ihren Charme gerne Kontakt mit „Fremden“ auf. Durch das ebenerdige Spiel verträgt sie allerdings kein sehr großes Publikum, es sei denn die Zuschauer sitzen gestaffelt oder die Präsentation findet auf einer erhöhten Bühne statt.
Wie wird sie gemacht?
Vorbereitend wird ein gerade gebogener Draht (mind. 2 mm) mittig durch den späteren Kopf (Styroporkugel) geschoben, durch einen Widerhaken in der Styroporkugel versenkt und mit Klebeband gut befestigt. Diese Arbeit kann man jüngeren Kindern auch abnehmen, da das Hantieren mit dem langen Draht nicht ungefährlich ist. Die Schüler stellen einen dicken Wollebausch durch Umwickeln eines Kartons oder den Deckel einer Kiste (etwa 50-60 cm) her. Das eine Ende wird abgebunden, das andere Ende aufgeschnitten. Nun wird das gebundene Ende über den Draht an die Styroporkugel geschoben. Damit sich später die Wollfäden nicht verschieben ist es günstig etwas lösungsmittelfreien Kleber an der Kugel anzubringen. Die Wollfäden werden nun gleichmäßig um die Styroporkugel gelegt und unter etwas Spannung unterhalb der Kugel festgebunden. Nun sieht man die Figur schon vor sich. Der runde Kopf wird aus Filz- und Fellresten oder einer Pomponkugel mit Nase, Augen und evtl. Haaren versehen. Ein paar Wollbüschel rechts und links des Halses werden als Arme herausgelöst, etwas kürzer geschnitten und abgebunden. Das obere Ende des Drahtes wird im rechten Winkel so gebogen, dass die Nase der Figur in dieselbe Richtung weist. Die Länge des Führungsdrahtes bemisst sich ein bisschen an der Größe des Spielers. Wenn die Figur im locker ausgestreckten Arm liegt, sollte sie den Boden berühren, ohne dass der Spieler sich nach unten beugen muss. Das Ende des Drahtes wird nun noch einmal zu einer Schlaufe gebogen. Durch diese wird ein Faden gezogen, dessen Enden an den „Handgelenken“ der Figur angebracht sind. Hier ist es wichtig, dass die Arme in der Ruhehaltung entspannt nach unten hängen.
Durch die Herstellung aus Wolle entsteht letztendlich ein etwas undefinierbares Wesen mit menschlichen Zügen. Bei Kindern könnten es z.B. Bewohner eines fremden Planeten sein, die auf die Erde gekommen sind. Sie kann aber auch einfach nur sie selbst sein und jedem den eigenen Interpretationsspielraum lassen. Am Ende eines jeden Herstellungsprozesses blickt man erstaunt in eine Vielzahl höchst individueller Figuren, die auch schon ohne das Spiel einen gewissen Charakterzug durchblicken lassen. Der eine wirkt etwas ernsthafter, die nächste vorwitzig, der andere ein wenig verärgert. Jede Figur ist einzigartig – entstanden aus der Gedankenwelt seines Schöpfers.
Wie erweckt man sie zum Leben?
Sobald die Figur fertig ist, will sie von den Kindern ausprobiert werden. Eine Phase der Exploration ist wichtig, um zum einen ein Gefühl für die Figur zu bekommen und zum anderen eine große Bandbreite an Möglichkeiten auszuprobieren. Wenn die Phase des freien Ausprobierens langsam erlahmt, eignen sich kleine Aufgaben zur Musik, die im Klassenverband ausprobiert werden können.
Stop and Go
Die Figur hat den optimalen Stand, wenn der Führungsstab locker im fast ausgestreckten Arm liegt. Nun kann sie durch leichte Auf- und Abbewegungen auch gehen oder hüpfen. Wichtig hierbei ist, dass die Bodenhaftung nicht verloren geht. Etwa zwei Zentimeter des unteren Wollkleides dürfen auf dem Boden liegen und bei der Fortbewegung auch hinterher schleifen. Die Aufgabe heißt nun gehen und stehen. Zur Musik gehen die Figuren im Raum, wenn die Musik aufhört, muss auch die Figur stoppen. Bedingt durch ihre Fadenaufhängung entziehen sich die Arme einer direkten Kontrolle. Das macht sich gerade beim „Stopp“ bemerkbar. Hier ist es interessant zusammen mit der Gruppe herauszufinden, welche Armhaltungen das „Freeze“ eindeutig bewerkstelligen können und bei welchen es besonders schwierig ist.
Schlafen und Tanzen
Hier braucht man eine Musik, die abwechselnd ruhig und aufgeregt ist. Im wilden Teil darf die Figur tanzen, sich drehen und die Arme bewegen. Ausnahmsweise sind auch unkontrollierte Bewegungen erlaubt, um die Grenzen auszutesten. Wird die Musik ruhig, dann legt sich die Figur hin und schläft. Das Hinlegen sollte geübt werden, denn der feste Führungsstab muss in die fast horizontale Richtung verlagert werden. Außerdem sollte der Zuschauer die offenen Augen nicht sehen. Das Verdecken der Augen kann man durch einen Arm bewerkstelligen oder die Figur dreht ihren Kopf entsprechend nach unten oder vom Zuschauer weg. Es lohnt sich, den Kindern Zeit zum Ausprobieren zu geben. Eine Einteilung in zwei Gruppen bietet sich hier besonders gut an. Denn das Zuschauen ist mindestens genauso berührend, wie die eigene Ausführung. Außerdem bekommen die Kinder wiederum Input für eigene Ideen.
Dem Chef folgen
Die Kinder finden sich nun in einer Kreisaufstellung. Ein Schüler wird zum Chef ernannt. Die Bewegungen, die er vormacht, werden synchron von allen anderen nachgemacht. Wenn man als Leiter anfängt, wird man automatisch einfache Bewegungen bevorzugen. Lässt man Kinder die „Chefs“ werden, wird es möglicherweise chaotisch durch zu komplizierte Bewegungen und zu schnelle Wechsel. Eine anschließende Reflexion hilft den Kindern zu verdeutlichen, worauf es beim Vormachen ankommt.
Variation: Wenn die Klasse nicht zu groß ist oder wenn man wieder eine Einteilung in Gruppen vornimmt, empfiehlt sich eine Aufstellung in einer Reihe mit dem Chef in der Mitte. Der Vorteil hier ist, dass sich Bewegungen nach rechts und links einfacher synchronisieren lassen, da kein Kind gegenüber steht und erst spiegelbildlich umdenken muss. Außerdem wäre eine Aufstellung in der Reihe eine gute Vorübung für die spätere Präsentation.
Dont‘s
Wilde und unkontrollierte Bewegungen sind zunächst sehr reizvoll für Kinder. Oft ernten diese Bewegungen auch große Lacher bei den Zuschauern, weil es im Moment grotesk und unerwartet wirkt. Aber der Gag nutzt sich schnell ab und eignet sich auf lange Sicht nicht für ein gemeinsames Spiel. Manchmal neigen Kinder dazu, den Führungsstab wie einen Besen nach rechts und links oder nach vorne und nach hinten zu schwenken. Für den Zuschauer verliert sich hier die Illusion eines lebendigen Wesens. Auch das ist eher zu vermeiden.
Fazit
Der Bau der Drahtmarionetten mit einer ganzen Klasse war ein anspruchsvolles Unterfangen. Ich hatte das Glück, dass mich eine zweite Lehrkraft unterstützte. Die Ergebnisse und die Freude der Kinder zeigten aber, dass sich der Aufwand gelohnt hatte. Die Figuren hatte einen hohen Aufforderungscharakter. Der Wunsch nach einer gemeinsamen Präsentation war bei allen groß. Somit war auch die Anstrengungsbereitschaft von vornherein gegeben. Das Sammeln von Ideen, das Ausdiskutieren und Verwerfen von Möglichkeiten erforderte viel soziale Kompetenz. Nicht jeder konnte damit umgehen, wenn seine Vorschläge nicht umgesetzt wurden. Aber letztendlich einigten sich alle Gruppen auf eine Choreografie, die bei der Schulveranstaltung vor den Eltern und den anderen Klassen voller Stolz präsentiert wurde.
Nur für Kinder?
Mittlerweile lasse ich bei Workshops auch Erwachsene die Wollmarionette herstellen. Der Zauber wirkt genauso bei den „Großen“. Die Freude am Ausgestalten der Figuren, das Ausloten des Bewegungsrepertoires und das Entwickeln kleiner Szenen ist für Menschen aller Altersstufen eine geeignete Form seine Ausdrucksmöglichkeiten zu entfalten.
Literatur
Batek, Oskar: Marionetten – Stab-, Draht- und Fadenmarionetten, Otto Maier Verlag Ravensburg, 1980
Steinmann, P.K.: Theaterpuppen – ein Handbuch in Bildern, Puppen & Masken, Frankfurt am Main, 1993
Kühn, Mareike: Opera dei pupi – Sizilianisches Marionettentheater im Wandel, Frank & Timme, Berlin, 2012
Kommentare
Kommentar von Metronom |
Vielen herzlichen Dank für diese interessante Seite!
Die Marionetten haben mir gleich hervorragend gefallen, Herr Walter, der Verwalter war mir gleich ins Auge gefallen.
Die Seite werde ich weiter empfehlen.
Weiter so!
Einen Kommentar schreiben